„Lacrima hilft Kindern und Jugendlichen, als gestärkte Persönlichkeit aus einer schwierigen Situation herauszukommen.“  

Melanie Hinze, Leiterin Lacrima des RV Rhein-Main

  • Was begeistert mich an meinen Aufgaben?
    Lacrima ist für mich ein Herzensprojekt. Ich genieße die Arbeit mit dem Team, ohne das dieses Projekt nicht möglich wäre. Auch die emotionale Nähe zueinander ist ein wichtiger Punkt, denn dadurch liegt das Projekt jedem von uns am Herzen. Wie in jedem ehrenamtlichen Bereich ist der freundschaftliche Umgang untereinander wichtig. Ich liebe den Umgang in der Johanniterfamilie untereinander und mir ist es wichtig, dass auch die Menschen bei Lacrima davon profitieren können.
  • Warum finde ich das Projekt wichtig?
    Wir begleiten die Familien während der oft schwersten Zeit ihres Lebens. Bei uns finden sie einen Raum für ihre Trauer, oft auch, wenn andere schon nicht mehr zuhören wollen. Sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen treffen auf andere Familien, die ihr Schicksal teilen. Sie fühlen sich verstanden und aufgehoben. Eine unserer Hauptaufgaben ist es, die innerfamiliäre Kommunikation zwischen Eltern/Elternteil und dem Kind / den Kindern zu fördern, denn oft trauert jeder für sich, und die Tränen, Ängste und Sorgen werden vor den anderen versteckt. Bei uns sehen sie, dass die Tränen des anderen wichtig sind und gerade die Kinder erkennen, dass es auch für Mama oder Papa wichtig ist, Zeit zum Trauern zu haben.
  • Welche besonderen Erlebnisse gibt es durch/bei der Tätigkeit?
    Da fallen mir ganz viele ein. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel gemeinsam mit der Feuerwehr Bad Nauheim Himmelspost verschickt. Die Kinder haben einen Gruß, eine Nachricht an ihre bereits verstorbenen Elternteile oder Geschwister geschrieben, die dann an einen Heliumballon geknotet wurden. Mit Hilfe der Drehleiter konnten die Kinder dem Himmel ein Stück näherkommen und ihre Ballons entsenden. Solche Erlebnisse schweißen die Familien oft noch enger zusammen.
    Eine andere Geschichte ist schon einige Jahre her und war ganz zu Anfang meiner Zeit bei Lacrima. Es gibt Fragekarten, die man nutzen kann, um einen Trauerimpuls zu setzen. Eine der Fragen lautet zum Beispiel: Welchen Duft magst du besonders gerne? Zuerst kamen Antworten wie „frisch gebackenes Brot“, „Lavendel“ oder „Erdbeeren“. Einer der Jungs war zunächst ganz still und dann sagte er leise „Das Parfum von meiner Mama. Manchmal sprühe ich das heimlich auf mein Kopfkissen, damit ich sie riechen kann.“ Alle Kinder verstanden ihn, denn ihnen ging es genauso und sie unterhielten sich bestimmt 30 Minuten darüber, ohne dass wir die Unterhaltung am Leben gehalten haben. Es war schön, den Kindern zuzuhören, und diese Unterhaltung war so besonders, denn keines der Kinder war älter als zehn Jahre.
    Nach dem Gespräch bin ich zu den Vätern nach oben, denn zu dem Zeitpunkt hatten wir in Frankfurt eine reine Vätergruppe. Als Hausaufgabe sollten sie das Parfum ihrer Frauen kaufen, am besten drei Mal: Einmal für jetzt, einmal für den 18. Geburtstag des Kindes und ein letztes Mal für einen anderen wichtigen Tag, zum Beispiel für die Hochzeit oder die Geburt des ersten eigenen Kindes.
    Anfang des Jahres wurde genau das Kind, das damals die Antwort in den Raum geworfen hatte, 18 Jahre alt und ich bekam einen Anruf des Vaters. Er bedankte sich nochmal für diese Hausaufgabe und meinte, dass alle anderen Geschenke, selbst die Herzenswünsche, nicht so wichtig waren wie dieses Parfum.
  • Gibt es sichtbare Erfolge durch das Projekt?
    Immer, wenn Fußball spielen oder Freunde treffen wichtiger wird als Lacrima, wissen wir, dass unser Job getan ist. Meist bleiben die Familien 2,5 Jahre bei uns und das ist eine sehr wichtige Zeit, denn im ersten Jahr nach dem Verlust funktioniert man nur, das zweite Jahr braucht es, um neue Rituale zu finden und das dritte Jahr, um zu erkennen, dass man es schafft.
    Stolz sind wir auch auf unsere Armbänder, die wir für trauernde Kinder und Jugendliche entwickelt haben. Von außen sind sie nicht als Trauerbänder zu erkennen, denn die Bänder in kräftigen Farben, gibt es entweder mit dem Wort Pusteblume oder Superheld. Warum gerade diese Worte? Mit der Pusteblume erklären wir gerade kleinen Kindern, wie das mit den Erinnerungen, die wir mit dem bereits Verstorbenen teilen, funktioniert und dass sie uns ein Leben lang begleiten und dass wir deswegen keine Angst haben müssen, den Menschen zu vergessen. Der Superheld ist gerade für die Teenies, denn in der Zeit der Trauer entwickeln sie oft echte Superkräfte. Sie trocknen die Tränen kleinerer Geschwister oder werden zu super Schülern, übernehmen Aufgaben, entlasten den verbliebenen Elternteil, also wirkliche kleine Superhelden. 
    Innen steht in allen Bändern „Ich bin bei dir“, denn der verstorbene Elternteil lebt in den Herzen weiter. Diese Bänder machen den Kindern Mut und helfen, über die Traurigkeit hinwegzukommen.
  • Welche aktuellen und allgemeinen Herausforderungen gibt es?
    Seit 2018 bieten wir eine Gruppe für Familien nach einem Suizid an. Deutschlandweit ist das die einzige Gruppe, die systemisch arbeitet und somit in dieser Form stattfindet. Zu Beginn war das eine echte Herausforderung, denn zu der Trauer, die allen Trauernden gemein ist, kommt die Schuldfrage dazu, die bei trauernden Kindern und Erwachsenen nach einem Suizid sehr im Fokus steht. Durch die gemeinsamen Stunden sehen sie, dass sie keine Schuld an dem Tod tragen und dass sie es nicht hätten verhindern können.
    Eine momentane zusätzliche Herausforderung liegt, wie bei allen anderen Gruppenangeboten auch, in der Umsetzung der Hygienekonzepte bei unseren Treffen. Wo wir sonst die Kinder auch durch körperliche Nähe, die sie oft suchen (je nachdem, wie alt sie sind), trösten konnten, müssen jetzt Worte reichen. Das ist für uns alle ganz schön hart, aber gerade diese Familien brauchen besonderen Schutz, denn noch einen Todesfall, zum Beispiel durch eine Covid-19-Erkrankung, wäre nicht zu ertragen. Deswegen heißt es nun für uns, Konzepte neu überdenken, neu ausrichten und versuchen, sie dementsprechend anzupassen. 
Die Johanniter bieten Betroffenen eine geschützte und vertrauensvolle Umgebung. Foto: Melanie Hinze
Johanniter | 5.4.1 Lacrima Interview mit Melanie Hinze
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