„Mich begeistert es, dass ich mit meiner Präsenz und meinem Handeln bei den Klienten Gutes bewirken kann. Belastende Ereignisse geschehen jeden Tag und ich bin stolz darauf, in der Lage zu sein, Menschen in ihren schlimmsten Situationen beistehen zu können.“ 

Dr. Ralf Oberfell, Leiter des Kriseninterventionsteams Stuttgart

Einführung in meine Person, meinen Werdegang und meine Tätigkeit bei den Johannitern

Im Jahr 2002 habe ich im Rahmen meines Zivildienstes die Ausbildung zum Rettungssanitäter auf der Rettungswache der Stuttgarter Johanniter abgeschlossen. In den darauffolgenden Jahren arbeitete ich während meines Studiums nebenberuflich als Rettungssanitäter in den Fachbereichen Rettungsdienst, Betriebsmedizin, Krankentransport und Hausnotruf. Seit dem Jahr 2004 bin ich aktives Mitglied im Kriseninterventionsteam Stuttgart. Dort habe ich bis heute etwa 500 Betreuungseinsätze als Kriseninterventionshelfer geleistet. 2018 habe ich nach 13 Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit die Leitung dieses Teams übernommen, das derzeit aus 15 aktiven Mitgliedern sowie 7 Mitgliedern in Ausbildung besteht. Als Führungskraft habe ich mich als Zugführer im Bevölkerungsschutz und als Fachberater/Leiter PSNV qualifiziert. 

In diesem Interview werde ich zwei Seiten meiner Arbeit im Kriseninterventionsteam (KIT) Stuttgart beleuchten: 
a) Meine Tätigkeit als ehrenamtlicher Kriseninterventionshelfer
b) Meine Tätigkeit als ehrenamtlicher Leiter des Kriseninterventionsteams (KIT) Stuttgart

  • Was begeistert mich an meinen Aufgaben?
    Das KIT Stuttgart bietet rund um die Uhr eine psychosoziale Betreuung für Menschen nach belastenden Ereignissen. Einsatzindikationen sind u. a. Todesfälle im häuslichen Bereich, Angehörige nach einem Suizid/-versuch, Überbringung von Todesnachrichten, Schienen- und Busunfälle sowie Gewaltdelikte. Ein Betreuungseinsatz verläuft zwar nach einem vorgegebenen Schema, dennoch sind die Bedürfnisse jedes Betroffenen in jeder Situation völlig individuell. Mich begeistert es, dass ich mit meiner Präsenz und meinem Handeln bei den Klienten Gutes bewirken kann. Belastende Ereignisse geschehen jeden Tag und ich bin stolz darauf, in der Lage zu sein, Menschen in ihren schlimmsten Situationen beistehen zu können. Im Betreuungsgespräch überzeuge ich niemanden von meinen eigenen Werten, sondern versuche im Dialog mit den Menschen herauszufinden, was diesen in der vorherrschenden Situation Besserung verschaffen kann.
    Als Leiter begeistert es mich, ein Team zu führen, das rund um die Uhr die psychosoziale Notfallversorgung der Stuttgarter Bevölkerung sicherstellen kann. Dies beinhaltet im Wesentlichen vier Bausteine: Der wichtigste Baustein ist der Aufbau und die Weiterentwicklung des Teams. Es müssen hierfür geeignete Bewerber und Bewerberinnen ausgewählt und umfassend ausgebildet werden. Zusätzlich habe ich den Anspruch, alle aktiven Mitglieder fortzubilden und zu schulen. Ein weiterer Baustein ist die Integration unseres Betreuungsangebotes in das Versorgungsangebot der Landeshauptstadt Stuttgart. Dazu arbeite ich eng und vertrauensvoll mit unseren Partnern (Rettungsdienst, Feuerwehr, Polizei, Stuttgarter Straßenbahnen AG, Flughafen Stuttgart,…) zusammen. Eine gute Arbeit benötigt eine gute Ausstattung – der dritte Baustein – und so passen wir unsere Ausrüstung ständig den aktuellen Gegebenheiten und Einsatzindikationen an. Persönliche Schutzausrüstung, Einsatzfahrzeug, Digitale Funkmeldeempfänger, Rettungsrucksack, Verpflegung, Kuscheltiere, Spielsachen, Informationsmaterialien und vieles mehr müssen konzipiert und beschafft werden. Das KIT Stuttgart ist ein ehrenamtliches Team. Wir stellen unsere Tätigkeit für die Klienten kostenfrei zur Verfügung. Die entstehenden Kosten müssen gedeckt werden. Der vierte Baustein ist daher die Akquise von Fördermitteln.
  • Warum finde ich das Projekt wichtig?
    In den letzten Jahren ist die psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) immer mehr in das Bewusstsein der Gesellschaft gerückt. Größere Schadenslagen wie der Amoklauf in Winnenden oder das Zugunglück in Eschede haben dazu beigetragen, dass Betreuungsangebote für die Bevölkerung und für Einsatzkräfte akzeptiert und als wichtig erachtet werden. 
    Dieses Angebot setzen wir mit Hilfe einer fundierten Ausbildung, viel Empathie und einer großen Portion Menschlichkeit um. Wir sind als erste Einheit an der Einsatzstelle, um anderen Menschen zu helfen und potenzielle Spätfolgen zu mildern. 
  • Welche besonderen Erlebnisse gibt es durch/bei der Tätigkeit?
    Ich wurde vor einigen Jahren zu einem Betreuungseinsatz mit dem Stichwort „Person liegt im Sterben“ gerufen. Angehörige hatten zuvor den Rettungsdienst alarmiert. Dieser konnte aufgrund der schweren Erkrankung der Patientin nicht mehr helfen. Bei meinem Eintreffen teilte mir die anwesende Notärztin mit, dass die Patientin in den nächsten Stunden versterben werde. Ich sollte mich um die Angehörigen kümmern. Ein außergewöhnlicher Einsatz, den ich so noch nicht erlebt hatte und der nicht zu unseren primären Einsatzindikationen gehört. Was sagt man den Angehörigen? Was brauchen diese in dieser Situation?
    Der Einsatz dauerte mehrere Stunden. Ich saß mit den Angehörigen am Bett der Patientin. Wir redeten und schwiegen, wir trauerten und lachten (über schöne Erinnerungen aus ihrem Leben). Im Beisein der Familie ist die Patientin verstorben.
    Einige Zeit später erhielt ich einen Brief des Ehepartners. In diesem bedankte er sich so herzlich für meine Zeit, die ich mit ihm und seiner Familie verbracht hatte. Er spiegelte mir in vielen Beispielen wider, dass es schön war, mit mir zu reden – aber auch mal nichts zu sagen. Er fand es beruhigend, jemand vor Ort zu haben, der ihm beisteht. Dieser Brief berührt mich bis heute. Er gibt mir die Bestätigung, dass mein Handeln gut war und eine positive Wirkung erzeugt hat. 
  • Gibt es sichtbare Erfolge durch das Projekt?
    Das Johanniter-KIT Stuttgart betreut seit mittlerweile 23 Jahren ehrenamtlich Menschen in schweren Situationen. Über die letzten Jahre hat es sich dabei zu einem etablierten Bestandteil des Stuttgarter Rettungsdienstes entwickelt.
  • Die über die letzten Jahre gestiegene Nachfrage (in Form steigender Einsatzzahlen) sowie die positiven Rückmeldungen aller am Einsatz beteiligten Personen geben mir die Bestätigung, dass der angebotene Dienst wichtig ist und die benötigte Betreuungstätigkeit hervorragend umgesetzt wird. 
  • Welche aktuellen und allgemeinen Herausforderungen gibt es?
    Die größte Herausforderung ist die Gewinnung von ehrenamtlich Mitarbeitenden. Das Ehrenamt im KIT ist herausfordernd und gleichzeitig zeitaufwendig. Ausbildung, Fortbildung und Bereitschaftsdienst erfordern einen hohen Zeiteinsatz. Für die Gewinnung neuer Mitglieder platzieren wir viele Maßnahmen: Jeden Monat veranstalten wir einen Informationsabend, in dem das Team und die Möglichkeiten der Mitarbeit vorgestellt werden. Werbung zur Teilnahme veröffentlichen wir auf unserer Homepage und in den Printmedien. Im letzten Jahr haben wir eine Werbekampagne auf den digitalen Werbetafeln im öffentlichen Nahverkehr durchgeführt, die uns zahlreiche Interessierte erbrachte.
    Weiterhin kostet die ehrenamtliche Arbeit Geld. Wir sind sehr dankbar für alle Förderer, die es uns ermöglichen, notwendige Einsatzmittel zu beschaffen. Das Einsatzfahrzeug, die Schutzausrüstung und die Informationsmaterialien für unsere Klienten sind mit Unkosten verbunden. Wir suchen daher ständig Förderer und Partner zur Finanzierung der Dienstbereitschaft und betreiben hierfür Öffentlichkeitsarbeit. 
  • Was bedeutet es für mich, ehrenamtlich zu arbeiten?
    Ich arbeite ehrenamtlich, weil ich meinen Dienst im KIT aus tiefster Überzeugung leiste. Die zahlreichen Stunden ehrenamtlicher Arbeit absolviere ich, weil ich anderen Menschen helfen möchte. Gleichzeitig macht es mir sehr viel Spaß, zusammen mit einem motivierten Team ein Betreuungsangebot für die Stuttgarter Bevölkerung anzubieten und zu gestalten. Auch wenn dieses Ehrenamt sehr viel Zeitaufwand benötigt, erfüllt es mich und ist nach so langer Zugehörigkeit nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken.
Das Kriseninterventions-Team um Dr. Ralf Oberfell bietet in Stuttgart rund um die Uhr psychosoziale Betreuung.Foto: Johanniter
Johanniter | 3.4.1 Krisenintervention, Interview mit Dr. Ralf Oberfell
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